Behinderung neu definiert und die Auswirkungen auf das Betriebliche Eingliederungsmanagement

Menschen sind nicht behindert – sie werden behindert. Durch viele vermeidbare Barrieren.

Diese Barrieren finden sich sowohl in unserer Umwelt als auch in vielen Köpfen.

Beispielsweise wird ein Mensch, der an einer eingeschränkten Gehfähigkeit leidet, daran ge- und behindert den ersten Stock zu erreichen, wenn das Gebäude nur Stufen anstatt einer Rampe bereitstellt. Er ist daher nicht behindert  – er wird durch eine umweltbedingte Barriere (Stufen) behindert.

Auch in den Köpfen kann es viele Barrieren geben, ausgedrückt durch zahlreiche Stigmatisierungen und sozialem Vermeidungsverhalten (BAG, 19.12.2013, AZR 190/12).

Wenn ich als BEM Beraterin mit Mitarbeitern spreche, ob sie einen Schwerbehindertenausweis beantragen möchten, kommt oft ein unverständlicher Blick mit den Worten „Aber Frau Huber, ich bin doch nicht behindert“.


Die Angst vor Stigmatisierung, vor Ausgrenzung und vor beruflichen Nachteilen ist leider immer noch deutlich zu spüren.  Auch eine Personalreferentin bat mich in einem Gespräch nicht so viele Anträge auf Feststellung der Behinderteneigenschaft zu stellen, mit der Begründung: „Sonst haben wir ja nur noch Behinderte hier“.

Die Behindertenrechtskonvention macht in Artikel 27 deutlich, dass Menschen mit Behinderungen das gleiche Recht auf Arbeit haben, wie nicht behinderte Menschen. Dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.

Der Europäische Gerichtshof verpflichtet die Arbeitgeber in seiner Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG, geeignete und angemessene Vorkehrungsmaßnahmen zu ergreifen, insbesondere um Menschen mit Behinderung den Zugang zu Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes und den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen.

Und auch durch die Umsetzung des neuen Behindertenbegriffs in § 2 SGB IX wird deutlich, dass es wichtiger ist, sich nicht auf die Einschränkungen und Diagnosen zu konzentrieren, sondern die Barrieren zu ermitteln und zu beseitigen.

Was bedeutet das in der Praxis?

Der Arbeitgeber wird durch die gesetzlichen Regelungen, insbesondere durch § 167 II SGB IX (BEM), aber auch über § 241 BGB verpflichtet, die infolge der (drohenden) Behinderung vorliegende Beschäftigungshindernisse durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen.

Im Rahmen des BEM geht es daher darum, zunächst die Anforderungen des Arbeitsplatzes genau anzusehen, um im zweiten Schritt die Hindernisse zu eruieren, die eine reibungslose Arbeit erschweren und die BEM Berechtigten daran hindern, fähig zu sein, diese Arbeit zu leisten (Arbeits – un – fähigkeit).

Die Maßnahmen und Leistungen, die die BEM Berechtigten unterstützen können, sind vielfältiger Natur. So ist auch in den Erwägungsgründen 20 und 21 der Richtlinie 200/78/EG zu lesen: Denkbar wären etwa die entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung von Arbeitsgerät, Arbeitsrhythmus, Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen.

Technischen Maßnahmen, wie Rampen, orthopädische Schuhe, Hebehilfen, orthopädische Stühle, Hebebühnen, spezielle Monitore, Lupen, Schallschutzwände, etc. unterstützen die Rehaträger und Inklusionsämter finanziell.

Organisatorische Maßnahmen, wie die Arbeitsaufgabengestaltung, Arbeitszeitgestaltung und die Arbeitsortänderung können die Sozialleistungsträger ebenfalls (finanziell) unterstützen.

Auch für persönliche Maßnahmen (d.h. alles, was die BEM-Berechtigten selber tun können, um ihre Gesundheit zu stabilisieren), steht ein umfassendes Leistungsangebot zur Verfügung, wie medizinische Rehabilitation, Beratungsleistungen, Schulungen etc.

Der Arbeitgeber ist somit gehalten, „geeignete und angemessene“ (d.h. wirksame und praktikable) Maßnahmen zu ergreifen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten. Eine Kündigung kranker Mitarbeiter kann daher ohne Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht nur unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam sein. Sie kann zudem eine Diskriminierung darstellen, die einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen kann. Dies gilt sogar bei einer Kündigung in der Probezeit!

Kommen Leistungen zur Teilhabe in Betracht, sind die Rehaträger und die Inklusionsämter zu beteiligen. Diese können finanziell und mit Beratungsleistung sowohl den Arbeitgeber, als auch die BEM Berechtigten unterstützen.

Gerne stehe ich Ihnen für Fragen rund um das Betriebliche Eingliederungsmanagement, die Leistungen der Sozialleistungsträger und Inklusionsämter, dem Arbeitsrecht und dem Schwerbehindertenrecht zur Verfügung.