BEM-Gespräche als besonders geschützte Situation?
Der Amoklauffall

Das BEM-Gespräch ist vertraulich und unterliegt strengem Datenschutz. Die Teilnehmer unterliegen einer Schweigepflicht. Doch wie sieht es aus, wenn im BEM-Gespräch eine Amokdrohung ausgesprochen wird? Kann dies doch zu einer außerordentlichen Kündigung führen?


Der Fall war kompliziert: Während des zweiten BEM-Gesprächs erfuhr der langjährige Beschäftigte, dass er mangels alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten weiterhin als Straßenwärter in einer Straßenmeisterei eingesetzt werde, obwohl ärztliche Empfehlungen dies ausgeschlossen hatten. Alternativen in einem anderen Arbeitsbereich bestünden nicht. Der Mitarbeiter drohte daraufhin mit Selbstmord und Amoklauf und berief sich dabei auf seine Mitgliedschaft im Schützenverein.

Der Arbeitgeber des Beschäftigten kündigte schließlich das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund und mit sofortiger Wirkung. Durch sein Verhalten und seine Äußerungen habe der Beschäftigte mit Druck seine Ziele durchsetzen wollen.

Das zuständige Arbeitsgericht wies die entsprechende Kündigungsschutzklage ab. Der Kläger ging daraufhin in Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Hessen. Zunächst mit Erfolg . Das LAG führte aus, dass die behauptete Amokdrohung der besonders „geschützten“ Situation eines BEM-Gesprächs nach § 167 Abs. 2 SGB IX erfolgt sei. Unter Berücksichtigung von dessen Verlauf, dem Bestand des Arbeitsverhältnisses von über zwanzig Jahren und dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers sowie der Annahme eines „Augenblicksversagens“ überwögen die Interessen des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Die außerordentliche fristlose Kündigung sei demnach nicht gerechtfertigt.
In diesem Moment denkt man sich als Fallmanager im BEM: „Ich muss meinen Stundenlohn um einen Risikozuschlag erhöhen. Denn wenn jeder es versuchen kann, seine BEM Maßnahmen mit Waffengewalt durchzusetzen, habe ich einen ziemlich gefährlichen Job.“

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) jedoch hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück an das LAG.
[1] LAG Hessen vom 22.04.2015 – 2 Sa 1305/14

In seiner Entscheidung führte das BAG hierzu aus:
Das ‚bEM‘ findet als eine besonders ‚geschützte‘ Situation im Gesetz keine Stütze. Die Teilnahme des Arbeitnehmers an einem bEM ist kein Gesichtspunkt, der sein Bestandsschutzinteresse generell steigert oder das Gewicht von Pflichtverletzungen der in Rede stehenden Art per se mindert.
(….)
(2) Der Suchprozess ist, auch wenn er einem ‚üblichen‘ Personalgespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gleichsteht, kein außerdienstlicher Vorgang (…)
Die Zuerkennung eines generell gesteigerten kündigungsrechtlichen Bestandsschutzinteresses insbesondere hinsichtlich eines möglichen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist zur Verwirklichung der Zwecke des bEM nicht geboten. Sie liefe ihnen vielmehr zuwider. Es liegt im Wesen des bEM, dass die Suche nach Möglichkeiten der Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeitszeiten im Rahmen eines fairen und sachorientierten Gesprächs erfolgt (BAG 10. Dezember 2009 – 2 AZR 198/09 – Rn. 18). Der gesetzlich zur Durchführung des bEM verpflichtete Arbeitgeber darf berechtigterweise erwarten, dass auch der Arbeitnehmer sein Verhalten hieran ausrichtet und insbesondere nicht darauf ausgeht, mit widerrechtlichen Drohungen das Ergebnis des Suchprozesses für ihn positiv zu beeinflussen.

Das bedeutet: Die „geschützte“ Situation im BEM-Gespräch legt die Basis für einen Klärungsprozess. Die Teilnehmer dürfen nicht die Gesundheitsdaten für andere Zwecke verwenden, als für die Ziele des BEM. Mit dieser Gewissheit können sich die BEM-Berechtigten entsprechend öffnen und sich in die Suche nach Möglichkeiten zur Reduzierung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit einbringen. Um den Bestand seines Arbeitsverhältnisses aufgrund seiner Offenheit hingegen soll er im BEM nicht fürchten müssen.

Zugleich ist das BEM jedoch kein Verfahren der besonderen Art, in der die Teilnehmer von den Rechten und Pflichten eines Arbeitsverhältnisses entbunden sind. So sollte weder der Arbeitgeber das BEM-Gespräch nutzen, um den Beschäftigten mit einer Kündigung oder einer Aufhebung des Arbeitsverhältnisses aufgrund von Krankheit drohen, noch darf der Beschäftigte seine Maßnahmen (wie z.B. die Versetzung auf einen Schonarbeitsplatz, Befreiung von der Nachtschicht) mit Drohungen oder Waffengewalt durchsetzen.
[2] BAG vom 29.06.2017 – 2 AZR 47/16

Auch wenn sich der Beschäftigte in einer schwierigen Situation befindet, handelt es sich bei dem BEM um ein Verfahren innerhalb eines Arbeitsverhältnisses. Mit Rechten und Pflichten für beide Seiten.
Als BEM Fallmanager bleibt es damit unsere Aufgabe, gemeinsam mit den Akteuren im BEM eine gute Analyse der Arbeit und der gesundheitlichen Einschränkungen durchzuführen. Und auch hier ist zwischen dem Verhalten und dem negativen Leistungsbild zu differenzieren. Oder einfach ausgedrückt: „konn er/sie net oder mog er/sie net?“. Im Anschluss daran werden die Maßnahmen geplant, um die Ziele des BEM zu erreichen. Und hier braucht man – dank des BAG – nicht mehr befürchten, dass wenn eine Maßnahme eben nicht umgesetzt werden kann oder die Befristung der Maßnahme ausläuft, die BEM-Berechtigten diese mit Drohungen doch durchsetzen können.